
Die Kernfrage: Gibt es eine gesetzliche Pflicht zur Hauptinspektion?
In der Schweiz existiert kein spezifisches Gesetz, das eine jährliche Hauptinspektion von Spielplätzen explizit vorschreibt. Die Verpflichtung ergibt sich jedoch indirekt aus der allgemeinen Sorgfaltspflicht des Eigentümers, die in der Werkeigentümerhaftung verankert ist.
Die rechtliche Grundlage: Werkeigentümerhaftung (Art. 58 Obligationenrecht)
Der Eigentümer eines "Werks" (z. B. ein Gebäude oder ein Spielplatz) haftet für Schäden, die durch dessen fehlerhafte Anlage oder mangelhaften Unterhalt entstehen.
- Was bedeutet das für Spielplätze? Ein Spielplatz muss so geplant, erstellt und unterhalten werden, dass er bei normaler Benutzung keine Gefahr darstellt.
- Haftung bei Unfällen: Ereignet sich ein Unfall aufgrund eines Mangels am Spielgerät (z.B. morsche Holzbalken, defekte Ketten), haftet der Werkeigentümer (z.B. die Gemeinde, Schule, Stockwerkeigentümergemeinschaft).
- Beweislast: Im Schadensfall liegt die Beweislast für die Mangelhaftigkeit bzw. Mangelfreiheit zwar nicht beim Werkeigentümer, aber eine gute Dokumentation und namentlich ein sofortiger Nachweis, dass der Werkeigentümer alle zumutbaren und erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen hat, hilft der Gefahr einer Beurteilung als «mangelhaft» früh und entschieden entgegenzutreten.
Der Massstab für Sicherheit: Die Norm SN EN 1176
Obwohl technische Normen rechtlich nicht verbindlich sind, definieren sie in der Gerichtspraxis de facto meist den anerkannten "Stand der Technik". Gerichte werden die Norm SN EN 1176 ("Spielplatzgeräte und Spielplatzböden") namentlich häufig als Massstab heranziehen, um zu beurteilen, ob ein Spielplatz sicher ist und der Eigentümer seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen ist.
Die Norm SN EN 1176-7 regelt die Inspektion und Wartung und unterscheidet drei Arten von Kontrollen:
- Visuelle Routine-Inspektion (wöchentlich/täglich): Erkennung offensichtlicher Gefahren (z.B. Glasscherben, Vandalismus). Kann durch Personal vor Ort (z.B. Hauswart) erfolgen.
- Operative Inspektion (alle 1-3 Monate): Prüfung der Funktion und Stabilität der Geräte. Erfordert geschultes Personal.
- Jährliche Hauptinspektion: Umfassende Überprüfung des allgemeinen betriebssicheren Zustandes von Geräten, Fundamenten und Spielplatzoberflächen.
Die jährliche Hauptinspektion: Unerlässlich für den Sicherheitsnachweis
Die Hauptinspektion ist die detaillierteste Prüfung und dient dazu, die allgemeine Sicherheit des Spielplatzes zu bewerten.
- Zweck: Feststellung von Verschleiss, Mängeln und potenziellen Gefahren, die bei den Routinekontrollen, auch Sichtkontrollen genannt, nicht ersichtlich sind.
- Anforderung: Diese Inspektion muss zwingend von einer sachkundigen Person (z.B. eine zertifizierte Fachkraft für Spielplatzsicherheit) durchgeführt werden.
- Dokumentation: Eine lückenlose Dokumentation aller Inspektionen und der daraus resultierenden Wartungsarbeiten ist entscheidend. Sie dient als Beweismittel, dass der Eigentümer seiner Verantwortung nachgekommen ist.
Fazit: Eine rechtliche Verpflichtung "de facto"
Obwohl die jährliche Hauptinspektion nicht direkt per Gesetz vorgeschrieben ist, stellt sie eine faktische Verpflichtung für jeden Spielplatzeigentümer dar.
Nur durch die regelmässige, fachmännische Überprüfung und deren lückenlose Dokumentation gemäss der Norm SN EN 1176 kann ein Eigentümer im Schadenfall nachweisen, seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen zu sein und so das hohe Haftungsrisiko minimieren. Das Ignorieren dieser Norm wird im Streitfall als grobe Fahrlässigkeit ausgelegt.
Empfehlung der BFU: Die BFU empfiehlt dringend, Spielplätze gemäss den Vorgaben der Norm SN EN 1176 zu inspizieren und zu warten. Dies schützt nicht nur die spielenden Kinder, sondern auch deren Eigentümer vor rechtlichen und finanziellen Konsequenzen.
****
RA Urs Hofer und Lea Klauser, Kanzlei im Turm AG, Winterthur
Gerne lassen wir Ihnen den ausführlichen Fachbeitrag per E-Mail zukommen. Nehmen Sie mit uns Kontakt auf!