Gut zu wissen

«Eltern haften für ihre Kinder!» Wirklich?

Haben Sie das auch schon gelesen? An vielen privaten Spielplätzen hängen Schilder mit Warnungen wie «Kein öffentlicher Spielplatz» oder mit dem Klassiker «Eltern haften für ihre Kinder»; doch ihre juristische Gültigkeit ist häufig unklar. Dieser Beitrag analysiert die rechtliche Bedeutung solcher Hinweise und beleuchtet die tatsächlichen Pflichten von Eigentümern und Eltern, basierend auf dem Schweizer Recht.
23.09.2025

Teil I: Die Behauptungen des Schildes – Ein juristischer Faktencheck

Mythos 1: "Kein öffentlicher Spielplatz" und die Frage des Hausfriedensbruchs

Die Deklaration, ein physisch frei zugänglicher Ort sei «nicht öffentlich», zielt darauf ab, eine rechtliche Grenze zu ziehen. Viele Eigentümer wollen mit diesem Schild verhindern, dass fremde Kinder den Spielplatz nutzen. Sie drohen quasi mit einem möglichen «Hausfriedensbruch». Gemäss Schweizer Recht setzt der Tatbestand des Hausfriedensbruchs jedoch das unrechtmässige Eindringen in ein «geschütztes Objekt» voraus. Als geschützte Objekte gelten ein Haus, eine Wohnung, ein abgeschlossener Raum eines Hauses, ein unmittelbar zu einem Hause gehörender, umfriedeter Platz, Hof oder Garten oder ein Werkplatz (Art. 186 StGB). Einem nicht umzäunten, frei zugänglichen Spielplatz kommt diese Eigenschaft nicht zu. Das Schild „Kein öffentlicher Spielplatz” kann die Voraussetzung der klaren Abgrenzung, beispielsweise durch einen Zaun oder eine Hecke, nicht ersetzen. Folglich dient ein solches Schild primär als Abschreckung anstatt als solide Grundlage für eine Strafverfolgung. 

Darüber hinaus können Kinder in der Schweiz erst nach Vollendung des 10. Altersjahres strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Somit kann sich ein achtjähriges Kind im Vorhinein nicht des Hausfriedensbruchs schuldig machen. 

Mythos 2: «Jede Haftung wird abgelehnt» und die Frage der einseitigen Enthaftungserklärung

Während das Schild versucht, die Verantwortung auf die Nutzer des Spielplatzes abzuwälzen, verschweigt es den wichtigsten juristischen Aspekt: die erhebliche rechtliche Verantwortung des Eigentümers selbst.

Gemäss Art. 58 OR haftet der Eigentümer eines Gebäudes oder eines anderen Werks für den Schaden, den dieses infolge fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder mangelhaften Unterhalts verursacht. Ein Spielplatz mit seinen Geräten gilt rechtlich als «Werk» – ein künstlich hergestellter, mit dem Boden verbundener Gegenstand. Er gilt als mangelhaft, wenn er für seinen bestimmungsgemässen Gebrauch keine genügende Sicherheit bietet. Ein Verschulden des Werkeigentümers ist hierfür nicht erforderlich (vgl. zur Relevanz von Inspektionen den Blogbeitrag vom 1. September 2025). 

Eine einseitige Erklärung des Spielplatz-Eigentümers, dass er nicht hafte (sogenannte einseitige Enthaftungserklärung) in der Form einer Hinweistafel, ist mangels Vertragsschlusses zwischen dem Eigentümer und dem Nutzer des Spielplatzes eine Haftung grundsätzlich nicht wegzubedingen. Liegt nach objektiven Kriterien ein mangelhaftes Werk vor, drohen daher dem Eigentümer grundsätzlich die gesetzlichen Haftungsfolgen; und zwar unabhängig von der Frage, ob sich der Geschädigte im konkreten Fall unvernünftig verhalten hat und namentlich auch dann, wenn das Verhalten des Geschädigten von der ursprünglichen Zweckbestimmung des Werkeigentümers abweicht (BGer 4A_265/2012, E. 4.1.2; BGE 116 II 422 E. 2 b bb).

Anders als eine einseitige Enthaftungserklärung kann jedoch ein Warn- oder Verbotsschild (z.B. «keinen Helm tragen auf den Spielgeräten»), das auf eine konkrete Gefahr hinweist bzw. diese abzuwenden versucht, sehr wohl eine Rolle spielen. Einerseits kann ein solches Schild dazu beitragen, die Mangelfreiheit des Werkes darzulegen (vgl. BGE 116 II 422 E. 2 b bb). Andererseits kann die bewusste Umgehung des Schildes als grobes Selbstverschulden des Geschädigten qualifiziert werden, womit die Haftung des Werkeigentümers reduziert oder unter Umständen gänzlich entfallen kann (BSK OR I-Kessler, N 6 zu Art. 58; HaftpflichtKomm-Fischer/Iten, Art. 58 OR N 5).

Als Fazit kann somit festgestellt werden, dass eine einseitige Enthaftungserklärung wenig nützt, währenddem eine Verbots- oder eine Gefahrenhinweistafel unter Umständen helfen oder gar geboten sein kann.

Mythos 3: «Eltern haften für ihre Kinder»

Das ist die wohl grösste und hartnäckigste Falschinformation, wenn es um die Frage allfälliger, durch das Kind verursachte Schäden an einer Drittperson oder einer Sache geht. Die rechtliche Situation in der Schweiz ist vielschichtiger:

Wann haftet das Kind selbst?

Ein Kind haftet für einen Schaden selbst, wenn es «urteilsfähig» ist. Urteilsfähigkeit setzt die Fähigkeit voraus, die Schädigungsmöglichkeit und das Unrecht seines Verhaltens zu erkennen und entsprechend zu handeln. Das schweizerische Recht legt keine feste Altersgrenze fest, wobei Kinder unter sieben Jahren in aller Regel nicht als urteilsfähig gelten. Entscheidend ist jedoch nicht nur das Alter der Kinder, sondern auch die Reife und die intellektuellen Fähigkeiten im Zusammenhang mit der in Frage stehenden Handlung (R. Vito, Haftpflichtrecht, 2024, N 7.33). Ist ein Kind urteilsfähig, haftet es mit seinem eigenen Vermögen.

Wann haften die Eltern?

Eltern haften nur dann, wenn sie nachweislich ihre Aufsichtspflicht verletzt haben (Art. 333 ZGB). Der Umfang dieser Pflicht hängt vom Alter und Charakter des Kindes sowie von den konkreten Umständen ab.

Die «Haftungslücke»

Daraus ergibt sich eine interessante Situation: Stellt ein kleines, nicht urteilsfähiges Kind etwas an, während die Eltern ihre Aufsichtspflicht nicht verletzt haben, haftet niemand. Der Geschädigte bleibt auf seinem Schaden sitzen.

Teil II: Vom Verbot zur Einladung

Was wollen Eigentümer mit den Schildern erreichen? Meistens geht es um Ordnung und den Schutz der Anlage. Diese Ziele sind wichtig und lassen sich vielleicht auch mit einer positiven Kommunikation erreichen. Anstatt eine abweisende und juristisch zweifelhafte Botschaft zu senden, könnte eine einladende und gemeinschaftsfördernde Atmosphäre geschaffen werden.

Schild Privatspielpatz - giuadora AG

Zudem sollten Spielplatzeigentümer auf konkrete Gefahren in einer für Kinder verständlichen Form hinweisen (z.B. Piktogramm «keinen Helm tragen auf den Spielgeräten»). Ein verständlicher Hinweis auf konkrete Gefahren ist nämlich, wie im ersten Teil dargelegt, aus juristischer Sicht viel besser geeignet, die möglichen Haftungsrisiken zu verringern als eine pauschale Enthaftungserklärung.

Zudem positioniert diese Art der Kommunikation den Werkeigentümer als fürsorglich und proaktiv. Sie lädt zur Mitverantwortung ein, anstatt die Verantwortung abzuschieben. Ein Hinweis zur Meldung von Mängeln ist nicht nur sympathisch, sondern hilft auch aktiv dabei, der Unterhaltspflicht nachzukommen und Risiken frühzeitig zu erkennen. 

Fazit

Die Analyse zeigt, dass gewisse Aussagen auf den gängigen Hinweisschildern einer rechtlichen Prüfung kaum standhalten. Die Behauptung zur Haftung der Eltern ist eine unzulässige Vereinfachung der komplexen Rechtslage. Gleichzeitig bleibt die wichtigste rechtliche Tatsache unerwähnt: die strenge und grundsätzlich nicht abwälzbare Werkeigentümerhaftung des Eigentümers gemäss Art. 58 OR. Für die Sicherheit auf Spielplätzen ist es entscheidend, dass sowohl Eigentümer als auch Eltern ihre jeweiligen rechtlichen Pflichten kennen. Eine klare und freundliche Kommunikation ist nicht nur sympathischer als die gängigen Hinweisschilder, sondern am Ende auch wirksamer als rechtlich zweifelhafte Drohungen.

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RA Urs Hofer und Lea Klauser, Kanzlei im Turm AG, Winterthur

Begriffserklärungen

EN 1176
Die Normenreihe SN EN 1176 ist der massgebliche europäische Standard für Spielplatzgeräte und Spielplatzböden. Sie legt detaillierte sicherheitstechnische Anforderungen an die Konstruktion, Installation, Inspektion und Wartung von Spielgeräten im öffentlichen Raum fest. Ihre Einhaltung ist entscheidend für die Gewährleistung der Sicherheit. Als Europäische Norm (EN) gilt die EN 1176 in allen 34 Mitgliedsländern des Europäischen Komitees für Normung (CEN). Die Bezeichnung "SN EN 1176" ist ein standardisiertes Verfahren, das die Übernahme einer Europäischen Norm in das nationale Normenwerk anzeigt. Die Buchstaben stehen für: SN: Schweizer Norm und EN: Europäische Norm.
Dokumentation
Die Dokumentation umfasst alle schriftlichen Unterlagen, die für einen Spielplatz relevant sind. Dazu gehören Montageanleitungen, der Inspektionsplan, alle Inspektions- und Wartungsberichte sowie Nachweise über durchgeführte Reparaturen. Eine lückenlose Dokumentation ist für den Betreiber ein entscheidender Nachweis seiner Sorgfaltspflicht.
Spielplatzkontrolle
Spielplatzkontrolle ist ein Überbegriff für alle Formen der systematischen Überprüfung eines Spielplatzes zur Identifizierung von Mängeln und Gefahren. Man unterscheidet zwischen der visuellen Routine-Inspektion (Sichtkontrolle), der operativen Inspektion (Funktionskontrolle) und der jährlichen Hauptinspektion.
Inspektion
Inspektion ist der Überbegriff für alle Formen der systematischen Überprüfung eines Spielplatzes zur Identifizierung von Mängeln und Gefahren. Man unterscheidet zwischen der visuellen Routine-Inspektion, der operativen Inspektion und der jährlichen Hauptinspektion.
Sicherheitsmanagement
Das Sicherheitsmanagement ist das umfassende, strategische System eines Betreibers zur Gewährleistung der Spielplatzsicherheit über den gesamten Lebenszyklus. Es umfasst Planung, Installation, den Inspektionsplan, Wartung, Reparaturen, die Schulung von Personal und die lückenlose Dokumentation.
Visuelle Routine-Inspektion
Die visuelle Routine-Inspektion, auch Sichtkontrolle genannt, ist eine häufig durchgeführte (z.B. tägliche oder wöchentliche) Kontrolle zur Feststellung offensichtlicher Gefahrenquellen. Sie dient der schnellen Erkennung von Vandalismus, Verunreinigungen oder leicht erkennbaren Schäden. Sie kann in der Regel durch geschultes Personal vor Ort (z.B. Hauswart) erfolgen.
Werkeigentümer
Der Werkeigentümer ist die juristische oder natürliche Person, der ein "Werk" gehört. Als Werk gilt ein stabiler, künstlich hergestellter und mit dem Erdboden direkt oder indirekt verbundener Gegenstand, wie zum Beispiel ein Gebäude, eine Strasse oder eben ein Spielplatz. Gemäss Artikel 58 des Schweizer Obligationenrechts (OR) haftet der Werkeigentümer für Schäden, die durch eine fehlerhafte Anlage, Herstellung oder mangelhaften Unterhalt seines Werkes entstehen. Diese sogenannte Kausalhaftung gilt auch dann, wenn den Eigentümer kein persönliches Verschulden trifft.
Bfu
Die BFU (Beratungsstelle für Unfallverhütung) ist das Schweizer Kompetenzzentrum für Unfallprävention. Sie publiziert massgebliche Fachbroschüren, Checklisten und Richtlinien zur Sicherheit von Spielplätzen. Ihre Empfehlungen gelten in der Schweiz als anerkannter Stand der Technik.
Betreiber
Der Betreiber ist die natürliche oder juristische Person, die für den sicheren Betrieb und die Instandhaltung des Spielplatzes verantwortlich ist (Werkeigentümer). Dies können Gemeinden, Schulen, Stockwerkeigentümergemeinschaften oder andere private Eigentümer sein. Der Betreiber trägt die rechtliche Verantwortung, die Sicherheit der Anlage zu gewährleisten.
Hauptinspektion
Die jährliche Hauptinspektion ist die umfassendste Prüfung der gesamten Spielanlage. Sie dient der Feststellung des allgemeinen betriebssicheren Zustandes und überprüft auch Fundamente, Verschleiss und die Auswirkungen der Witterung. Diese Inspektion muss von einem qualifizierten Spielplatzprüfer durchgeführt werden.
Inspektionsbericht
Der Inspektionsbericht, auch Prüfbericht genannt, ist die schriftliche Ergebnissicherung einer durchgeführten Inspektion. Er dokumentiert den Zustand der Anlage, listet festgestellte Mängel auf und formuliert Empfehlungen für notwendige Massnahmen. Der Aufbau und Umfang eines Berichts einer Jaheshauptinspektion ist in der Norm DIN 79161-1 detailliert festgehalten. Prüfberichte sind mind. 5 Jahre aufzubewahren.
Operative Inspektion
Die operative Inspektion ist eine detaillierte Kontrolle, die in regelmässigen Abständen (z.B. alle 1-3 Monate) durchgeführt wird. Im Gegensatz zur reinen Sichtkontrolle, auch visuelle Inspektion genannt, umfasst sie auch funktionelle Tests zur Überprüfung der Stabilität und des Verschleisses von Bauteilen. Ein Synonym für die operative Inspektion ist Funktionskontrolle.
SVSS
Die SVSS ist die Schweizerische Vereinigung für die Sicherheit auf Sport- und Freizeitanlagen. Es handelt sich um eine Fachorganisation, die sich der Förderung eines angemessenen Sicherheitsniveaus auf Anlagen wie Spielplätzen, in Turnhallen oder auf Sportfeldern verschrieben hat. Die SVSS engagiert sich in der Aus- und Weiterbildung von Fachpersonal, wie zum Beispiel qualifizierten Spielplatzprüfern, und arbeitet eng mit der bfu zusammen, um Richtlinien und Empfehlungen für die Praxis zu erarbeiten.
Knowhow
Hauptinspektion

Ihr jährliches Sicherheitsupdate

Die jährliche Hauptinspektion ist mehr als eine Routinekontrolle – sie ist ein wesentlicher Baustein für die Sicherheit und den langfristigen Werterhalt Ihrer Spiel-, Sport- und Fitnessanlage. Unsere qualifizierten Prüfer nehmen Ihre Anlagen gemäss SN EN 1176, 1177, 16630, 12572 u.a. genau unter die Lupe, um potenzielle Risiken frühzeitig zu erkennen und geeignete Massnahmen in die Wege zu leiten.